24 Stunden von Kelheim 16./17. Juli 2016
Wenn die Kniegelenke längere Laufeinheiten nicht mehr mitmachen wollen, geht man wieder zurück zu den sportlichen Wurzeln. Also rauf auf das Rennrad, das Gregor mir vor ca. einem Jahr zusammengebaut hatte, als es so aussah, als ob sportliches Laufen überhaupt nicht mehr möglich wäre.
Natürlich braucht man auch hier ein Ziel (außer der allgemeinen Fitness), um sich für längere Trainingseinheiten zu motivieren. Gregor berichtete, daß er schon zweimal an einem 24 Stunden Radrennen in Kelheim (in der Nähe von Regensburg) teilgenommen hatte, bei dem eine volksfestartige Stimmung herrscht und das mit der Laufveranstaltung „24 Stunden von Bernau“, bei der wir ja schon einige Jahre erfolgreich als Mix-Staffel dabei sind, vergleichbar ist.
Ein Rundkurs von ca. 16,4 km ist von Samstag 14:00 Uhr bis Sonntag 14:00 Uhr so oft wie möglich zu bewältigen. Die Strecke kann als Mannschaft oder Einzelfahrer in Angriff genommen werden. Relativ schnell war der Entschluß gefaßt: „2016 wollen wir als Einzelfahrer dabei sein“.
Im Januar erfolgte als Motivationsschub die Anmeldung. Erfahrungen mit Nachtläufen hatte ich ja schon durch Biel und Bernau gesammelt; aber wie würde es auf dem Rad sein? Außerdem hat der Kurs noch eine kleine Hürde. In jeder Runde ist ein Höhenunterschied von ca. 180 m zu bewältigen.
Die Vorbereitung war aufgrund des schlechten Wetters im Frühjahr nicht gerade ideal. Aber mit jeder Trainingseinheit kam ich besser in Schwung, so daß mein Minimalziel „214 km“ unproblematisch erschien.
Am 15.07. brachen wir morgens Richtung Regensburg auf, um nicht allzu spät in Kelheim einzutreffen und um in einem der Fahrerlager noch einen vernünftigen Platz für unser Zelt und das Auto sichern zu können. Tatsächlich war die Auswahl am Freitagmittag sehr beschränkt. Da wir aber nicht viel Platz benötigten, konnte wir am Alten Hafen in der Nähe des Startbereichs noch unseren Claim abstecken. Wer aber mit einem größeren Wohnmobil anreist, sollte besser schon am Donnerstag vor Ort sein. Nachdem alles eingerichtet war, machten wir erst einmal das Stammhaus von Schneider Weisse unsicher und erkundeten etwas die Gegend um die Befreiungshalle, die über Kelheim thront. Das Wochenende ist für das kleine Städtchen ein Volksfest der besonderen Art. Der Marktplatz wird praktisch mit einem Bierzelt überbaut und in den angrenzenden Straßen befinden sich Marktstände mit den üblichen straßenfestartigen Köstlichkeiten.
Die Startnummernausgabe sollte erst ab 18:00 Uhr öffnen und so sind wir schon am Nachmittag nach Regensburg gefahren, wo Gregors Bruder lebt und bei dem wir noch eine Nacht in einem festen Bett verbringen konnten. Am nächsten Morgen ging es dann nach dem Frühstück zurück nach Kelheim.
Mit der Abholung der Startnummern stieg die Spannung schon ein wenig. Auch wenn es sich um ein Volksradrennen handelt, sind doch viele Halbprofis und Extremsportler dabei. Auch unser Material nimmt sich gegen die Armada der Rennräder eher bescheiden aus. Aber egal, treten muß jeder immer noch selber!
Das Wetter war ideal. Nicht zu heiß und vor allen Dingen trocken. Auch die Prognose für die nächsten 24 Stunden war recht vielversprechend.
Gegen 13:45 Uhr rollten wir Richtung Start. Als Einzelfahrer hatten wir es ja nicht eilig. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl: Nach ca. 40 Jahren mein erstes Radrennen! Mit dem Startschuß ging vorne die Post ab, denn die Staffeln schenken sich keinen Meter. Wir dagegen hatten ja nun 24 Stunden Zeit, uns einzurollen.
Gleich nach dem Start geht es in die Steigung, die in der ersten Runde noch recht entspannt bewältigt wird. Aber mit jeder weiteren Runde türmt sich ein Berg auf, der von Stunde zu Stunde höher und steiler zu werden scheint.
Der sogenannte „Col de Stausacker“ liegt unterhalb der Befreiungshalle; auf dem Weg zur Spitze befinden sich drei Musikstationen und eine Trommelband, die wirklich 24 Stunden durchgehend für Stimmung sorgen. In Berlin undenkbar, da sicherlich im Wald irgendeine seltene Motte oder Kröte gestört würde.
Auf einer rasanten Abfahrt kann man sich dann etwas erholen und es geht moderat zurück nach Kelheim. Für die Rundenzeitnahme und den Wechsel innerhalb der Mannschaften durchfährt man eine enge Gasse in einem Bierzelt. Auch hier eine Riesenstimmung und ich werde durch meinen Bart und meines offensichtlich „biblischen“ Alters bald der Liebling des Sprechers, so daß das Publikum frenetisch mitgeht, was mich bei der Enge allerdings nicht wirklich schneller voranbringt. Ausfahrt Kelheim und schon wieder geht es in die Steigung.
Unser Plan war, erst einmal vier Runden zu fahren, um dann eine kurze Pause für die Aufnahme der persönlichen „Wundermittel“ einzulegen. Leider hat Gregor mit Magenproblemen zu kämpfen und nachdem wir wieder auf der Strecke sind, steigt er nach der fünften Runde entkräftet aus. Des einen Leid, des anderen Freud! So zerknirscht er auch ist, so rührend kümmert er sich jetzt für die nächsten 20 Stunden um mich.
Ich fahre wieder vier Runden, um dann etwas zu essen. Auf der Strecke geht es sehr diszipliniert zu. Die Mannschaftsfahrer rauschen im D-Zugtempo vorbei und jeder achtet darauf niemanden zu behindern. Besonders in den Kurven geht der Blick auch immer nach hinten, um die Rennsituation einzuschätzen.
Ich will auf jeden Fall über Mitternacht fahren und mache mich fertig. Es wird langsam dunkel; alle müssen jetzt Warnwesten tragen und Licht am Rad haben. Über die Qualität wird nichts ausgesagt, Hauptsache es glimmt irgendetwas.
Die Rennstrecke ist für die gesamte Zeit für Fahrzeuge in Fahrtrichtung gesperrt. Lediglich Motorräder der Rennleitung und von Fotografen, die von unseren gequälten Gesichtern Aufnahmen machen, sind zugelassen. Störend empfinde ich allerdings in der Dunkelheit entgegenkommende Fahrzeuge, die empfindlich blenden. Danach muß sich das Auge erst wieder an das Umfeld gewöhnen. Bei einer Abfahrt mit 60 km/h etwas spannend.
Es war zwar vereinzelt Regen gemeldet; aber es bleibt trocken und es ist auch nicht übermäßig kalt. Die kurze Radhose reicht und oben eine leichte Windjacke. Nach drei weiteren Runden sind 180 km erreicht, Mitternacht ist vorbei und die Nacht war bis dahin klar. Am „Col de Stausacker“ dröhnte Hells Bells von AC/DC aus den Lautsprechern. Eine tolle Stimmung und auch an der Strecke und im Bierzelt ist weiterhin Party.
Ich beschließe ein paar Stunden zu schlafen, um dann vielleicht in den Sonnenaufgang zu fahren. Leider bewölkt es sich und ich bleibe doch etwas länger liegen als geplant.
Gregor kümmert sich um Kaffee und ein sportfreundliches Frühstück. Um 05:00 Uhr geht es wieder auf die Piste. Kurzfristig gibt es tatsächlich ein paar Regentropfen, die aber nicht einmal ausreichen, um das Rad zu bespritzen und bald zeigt sich auch wieder die Sonne. Ich weiß nicht, was man machen würde, wenn es richtig schüttet.
Wieder drei Runden und das Minimalziel von 200 km ist weit überschritten. Die nächste Marke kann jetzt nur 300 km heißen. Kurze Pause und wieder drei Runden rausgestrampelt. Am Berg fange ich jetzt an, mit der Schaltung zu experimentieren.
Ich habe immer noch nicht rausgefunden, ob mir eine höhere Übersetzung mit größerem Kraftaufwand nicht mehr entgegenkommt. So oder so, tut der Berg jetzt richtig weh. Die Windjacke wieder aus und die Ärmlinge runtergezogen. 17 Runden sind geschafft.
Pause und wieder zwei Runden rausgefahren. Auch die 300 km Marke ist geknackt. Es bleibt genügend Zeit für eine 20. Runde.
Nach fast 330 km und ca. 3600 Höhenmetern steige ich glücklich vom Rad. Keine Sitzbeschwerden oder Rückenschmerzen; ich bin mit mir zufrieden, obwohl die Leistung nicht einmal für die erste Hälfte im Teilnehmerfeld reicht. Ich denke aber, mit dem Trainingsaufwand und den Möglichkeiten ein respektables Ergebnis. Bei den Männermannschaften wurden die ersten drei Plätze nach 24 Stunden übrigens im Spurt entschieden. Unglaublich!!!!
Insgesamt eine absolut empfehlenswerte Veranstaltung, wobei die Bedingungen auch optimal waren. Ich weiß nicht, ob ich bei Dauerregen an den Start gegangen wäre. An dieser Stelle noch einmal meinen ganz herzlichen Dank an Gregor, der als Mechaniker in der Vorbereitung, als Trainingspartner und während des Rennen immer eine große und selbstlose Hilfe war, ohne den ich diese Leistung nicht geschafft hätte.
Frank